The Perfumative –
Parfum in Kunst und Design

Eine Kooperation der Departemente Kunst und Medien (BA Kunst & Medien) und Design (Fachrichtung Trends & Identity), organisiert von Martin Jaeggi, Anne Kramer, Jörg Scheller und Katharina Tietze.

Zürcher Hochschule der Künste
Toni-Areal
Pfingstweidstrasse 96
8005 Zürich

 

(English version below)
«Das Parfüm leistet eben das selbe durch Vermittlung der Nase, was der sonstige Schmuck durch die des Auges. Es fügt der Persönlichkeit etwas völlig Unpersönliches, von außen Bezogenes hinzu, das nun aber doch so mit ihr zusammengeht, dass es von ihr auszugehen scheint. Es vergrößert die Sphäre der Person, wie die Strahlen des Goldes und des Diamanten, der in der Nähe Befindliche taucht darein ein und ist gewissermaßen so in der Sphäre der Persönlichkeit gefangen. Wie die Kleidung verdeckt es die Persönlichkeit mit etwas, was doch zugleich als deren eigne Ausstrahlung wirken soll. Insofern ist es eine typische Stilisierungserscheinung, eine Auflösung der Persönlichkeit in ein Allgemeines, das doch die Persönlichkeit ihrem Reize nach zu eindringlicherem, geformterem Ausdruck bringt, als ihre unmittelbare Wirklichkeit es könnte.» 
Georg Simmel, Soziologie: Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, 1908

Der Geruchssinn ist ein unterschätzter Sinn. Über weite Strecken der westlichen Moderne war er sogar verpönt. «Welcher Organsinn ist der undankbarste und scheint auch der entbehrlichste zu seyn?» fragte sich Immanuel Kant rhetorisch und antwortete sogleich: «Der des Geruchs.» Jegliche Form des Genusses durch diesen Sinn sei «flüchtig» und «vorübergehend». Wie Geräusche stufte Kant Gerüche als zudringlich ein. Augen und Mund lassen sich selbsttätig verschliessen, für die Nase gilt dies nicht.
Aus Sicht einer avancierten Ästhetik sind es genau die seit Kant negativ konnotierten Eigenschaften, die dem Parfum in postmodernen – oder bereits post-postmodernen – Zeiten eine exemplarische Qualität verleihen. Diese Zeiten sind gekennzeichnet von ephemeren, performativen und raumgreifenden Künsten, von der immateriellen Arbeit, vom Event-Kapitalismus, kurz: in ihnen kulminiert die „flüssige“ oder „flüchtige Moderne“ (Zygmunt Bauman).
Die traditionellen Gattungen der westlichen bildenden Kunst – Malerei und Skulptur – fußen auf räumlicher Distanz zwischen Werk und KünstlerInnen, Werk und RezipientInnen, Werk und BesitzerInnen. Parfum jedoch wird nicht nur, anders als bildende Kunst, im Gebrauch verbraucht, es vermischt sich buchstäblich mit der Aura seiner KäuferInnen und RezipientInnen. Parfum ist an den Körper gebunden – und damit an das, was einmal als „abscheuliches Gewand der Seele“ (Papst Gregor der Große) galt. Man „trägt Parfum“, was auch seine immer noch dominante Bindung an die Mode erklärt. Zudem sind die Düfte für die Modeindustrie ein gutes Geschäft, betragen doch Material- und Herstellungskosten nur einen Bruchteil des Preises.
Solange von Kunst, Design und Wissenschaft das Essentielle, Eherne und Ewige erwartet werden, spielen olfaktorische Artefakte zwangsläufig eine untergeordnete Rolle. Wird die Existenz jedoch performativ, ereignishaft und flüchtig, ist Parfum mehr als ein Nice-to-have: Es ist eine paradigmatische „Form der Zeit“ (George Kubler). Dies zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass Düfte zusehends in Design- und Kunstmuseen ausgestellt und reflektiert werden (z.B. Perfume: A Sensory Journey Through Contemporary Scent, Somerset House London, 2017). Osmotheken, Gesellschaften für olfaktorische Künste und Duftkulturinstitute sind entstanden, etwa das Scent Culture Institute in Bern.
In den letzten 15 Jahren kam es zudem, vor allem durch Weblogs, zu einer differenzierten Bewertung von Parfums. So entstanden professionelle Rezensionsplattformen, die denen der Musik und Literatur vergleichbar sind. In diesen Fragrance Reviews wird das fast völlige Fehlen eines spezifischen Duftvokabulars diskutiert und der ästhetische Wert von Parfumkreationen analysiert. Insofern gehen mit Parfum auch neue Formen der Versprachlichung und Diskursivierung einher, die an jene aus der Gastronomie erinnern: Wie lassen sich Duft-, wie lassen sich Geschmackserlebnisse in Worte fassen? Welche Begriffe und Kommunikationsformen sind ihnen angemessen? Dabei besteht eine zentrale Herausforderung darin, dass ParfümeurInnen inter- und transdisziplinär im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Design und (bildender) Kunst arbeiten. Während beispielsweise Flakons, Verpackungen und Werbung klassische Arbeitsfelder des Designs sind, verortet der Parfümeur Christophe Laudamiel die Herstellung von Düften als solche im Feld der Kunst.
Vor allem im Zusammenspiel mit den jeweiligen verbalen wie auch visuellen Inszenierungen lassen sich im Parfum heute umfassendere Zusammenhänge diskutieren als es bislang üblich war. Parfum ist ein vielversprechendes Neuland der Gegenwartsdiagnostik, erzeugt es doch eine Sphäre, in der Kunst und Kommerz, Design und ästhetische Autonomie, Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft, Sinnhaftigkeit und Sinnlichkeit eine vertrackte Beziehung eingehen.
An diese komplexen und dynamischen Zusammenhänge möchte die internationale Tagung „The Perfumative. Parfum in Kunst und Design“ anknüpfen, indem sie einen Dialog zwischen ParfümeurInnen, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen eröffnet. Parfum soll in so unterschiedlichen Zusammenhängen wie Technologie, Material, Geschichte, Werbung, Mode, Literatur oder Duftkunst untersucht werden. Dabei stellt sich unausweichlich die Frage, inwiefern Menschen über Parfum eine Weltbeziehung eingehen: Scheinen im Gebrauch von Parfums Versuche auf, „Welt und Selbst wieder in ein Resonanz-verhältnis zu bringen“ (Hartmut Rosa)? Als Austragungsort der Konferenz bietet sich Zürich an, spielt die Schweiz doch eine wichtige Rolle in der Parfumindustrie. So zählen die Dufthersteller Givaudan und Firmenich zu den weltweit bedeutendsten Produzenten, Zürcher ParfümeurInnen wie Andy Tauer, Andreas Wilhelm oder Vero Kern gelten als Avantgardisten der Szene. Mit ihrem heutigen Schwerpunkt auf Transdisziplinarität ist die Zürcher Hochschule der Künste als Gastgeberin prädestiniert.

Conference
The Perfumative —
Perfume in Art and Design

”Perfume accomplishes through the medium of the nose the same thing as jewelry does through the medium of the eye. Jewelry adds something completely impersonal to the personality, drawn in from outside, but nevertheless suits the person so well that it seems to emanate from the person. It enhances the person’s sphere as the sparkle of gold and diamond; one situated near it basks in it and is thus, to some extent, caught in the sphere of the personality.
Like clothing, it covers the personality with something that should still
work at the same time as its own radiance. Insofar as it is a typical stylistic phenomenon, a blending of the personality into a generality that nevertheless brings the personality to a more impressive and more fashioned expression than its immediate reality could.“ 
Georg Simmel, Sociology. Inquiries onto the Construction of
Social Forms, 1908

     Of all the senses smell is the most underestimated. For the most part of the modern era in the West, it was even frowned upon. Immanuel Kant posed the rhetorical question „Which sense is the most ingrate and thus the most dispensable?“, and immediately answered it: „The sense of smell.“ Every type of pleasure afforded by this sense he considered „fleeting“ and „transient“. Like noises Kant considered smells obtrusive. The eyes and the mouth can be shut at will, whereas this does not apply to the nose.
      From the viewpoint of advanced aesthetics, it’s exactly the qualities denigrated by Kant, which endow perfumes with qualities that are exemplary in postmodern, or even post-postmodern, times. We are living in an era marked by ephemeral, performative, and spatially expansive arts, by immaterial labour, by event capitalism. In short, we witness the culmination of „liquid“, or „fleeting“, modernity (Zygmunt Bauman).
     The traditional media of Western visual arts, painting and sculpture, are based on the spatial distance between the work and the artist, the work and the recipient, the work and the owner. Contrary to visual artworks, perfume is used up by its consumers. It literally becomes part of the aura of the users. Perfume is inextricably linked to the body, which was long considered „the abominable garment of the soul“ (Pope Gregory the Great). Perfume is „worn“, which explains its still predominant connection to fashion. Moreover, scents are a big business in fashion, since the costs for ingredients and production are a mere fraction of the price. 
     As long as art, design, and science were expected to have essential and eternal qualities, olfactory artefacts played by necessity a marginal role. When existence becomes performative, event-like, and transient, however, perfume is more than a mere „nice-to-have“: it becomes a „paradigmatic shape of time“ (George Kubler). A clear indication of this shift is the trend to exhibit and reflect perfumes in museums for art and design (for example Perfume: A Sensory Journey Through Contemporary Scent, Somerset House London, 2017). Osmotheques, societies for the olfactory arts, and institute for scent culture, like the Scent Culture Institute in Berne, have been founded in recent years.
     In the past fifteen years, the appraisal of perfumes has become increasingly more nuanced and sophisticated, mainly due to weblogs. On professional fragrance review platforms, comparable to those for music or literature, there is an intense debate on the lack of a specific vocabulary for the appreciation of scents, and the aesthetic qualities of specific perfumes are dissected in an increasingly precise language. A discourse on perfume is emerging that could be compared to the gastrosophical discourse on food: How can we put our experiences with food and scents in words? What vocabulary and which forms of communication should we use for this purpose? One of the central challenges lies in the position of perfumers at the crossroads of science, design, and art. Whereas the creation of flacons, packaging, and advertising are traditional areas of design, the perfumer Christophe Laudamiel considers scent making to be an art form. 
     Reflections on perfume, along with its visual and verbal mise-en-scénes, provide salient new perspectives on the present as perfume creates a sphere, in which art and commerce, design and aesthetic autonomy, natural science and humanities, sense and sensuality are intricately and inextricably intertwined.
     These complex and dynamic interrelations are the focus of the international conference „The Perfumative. Perfume in Art and Design“, which seeks to open up a dialogue between perfumers, researchers, designers, and artists. Perfume will be examined under various angles: technology, materiality, history, fashion, advertising, literature, and olfactory art. The inevitable question is how people are connected to the world and whether the use of perfume could be considered as an attempt to bring the world and the self in a resonant relationship once again (Hartmut Rosa)? Zurich is an ideal site for this conference as Switzerland plays an important role in the perfume industry. Fragrance manufacturers like Givaudan and Firmenich are among the most important global players, Zurich-based perfumers Andy Tauer, Andreas Wilhelm, and Vero Kern are amongst the vanguard of the scene. With its focus on its focus on transdisciplinarity, the Zurich University of the Arts seems predestined to host this conference.

The conference is a cooperation of the Departments of Art and Media (BA Art & Media) and Design (Trends & Identity),
organized by Martin Jaeggi, Anne Kramer, Jörg Scheller and Katharina Tietze.

Plakatserie «Fragrance Mayonaise Banana and Fragrance Cottage Cheese Lemon by 4.F06» von José-Ignacio Giangrande Bomrad und Dino Radoncic (Studierende der Fachrichtung Trends & Identity, ZHdK)

ZHdK – Zürcher Hochschule der Künste